[Berlin-wireless] soziale Bedeutung

marco marco.pompe
So Mär 11 18:46:23 CET 2007


liebe liste


Das Thema ?Soziale Bedeutung des Freifunks? ist mir doch noch ein paar
mehr Wörter wert. Auf der Suche nach adequaten Kategorien und
Begrifflichkeiten ist eine gewisse analytische Trennschärfe oft von
Vorteil. Das von Norman ausgerufene Ziel ein ganzes Stadtviertel zum
Wohle der sozial Benachteiligten zu vernetzen find ich nich falsch (ganz
im Gegenteil). Allerdings fällt das bei mir eher unter technische
Aspekte, weil es hier im Endeffekt um eine höhere Ausbaustufe des Netzes
geht. Unter Sozialer Bedeutung würde ich eher die Zielsetzung
?Demokratisierung der Kommunikationsstrukturen? verstehen, wie es ja im
Freifunkkontext an verschiedenen Stellen auch formuliert wird. Was das
allerdings bedeutet scheint mir bisher nich so ganz geklärt, es scheint
mir auch für viele Leute eine untergeordnete bis keine Rolle zu spielen.
Auch deshalb erscheint mir die Freifunk Community etwas ?blutleer?
(Zitat: Horst). Folgender Deutung möchte ich deshalb ma zur Diskussion
stellen:

>> Demokratie als Konzept wird u.a. deswegen weltweit skeptisch bis
ablehnend betrachtet, weil sie ihren eigenen Ansprüchen nirgends auch
nur annähern gerecht wird, bzw. als Konzept komplett widersprüchlich
ist. Die Leute dürfen zwar (mit-) entscheiden, aber nur mal irgendwann
ganz kurz mit einem Kreuz darüber, wer in Zukunft über sie entscheidet,
bzw. wer in Zukunft die sogenannten Sachzwänge der Marktwirtschaft
verwaltet. ... soweit nichts neues ...

Demokratisierung heißt demnach, die optimalen Vorraussetzungen für das
funktionieren des Marktsystems zu schaffen, welches eine gänzlich
undemokratische gesellschaftliche Struktur mit sich bringt. Nunja, das
ist wohl von den FreifunkerInnen so nich gemeint, oder?

Es geht also eher um etwas das vielleicht eher Basisdemokratie meint,
umfangreiche Partizipation und Selbstbestimmung, Selbstgestaltung,
Selbstorganisation. Diese Begriffe sind vermutlich auch niemandem neu.
Aber die Frage drängt sich schon auf, wer sich denn wirklich hinter
diese Deutung von ?Demokratisierung der Kommunikationsstrukturen?
stellt, bzw. wer sein Engagment in der Freifunk Community auf diesen
Prüfstein stellt. Theorie und Praxis treten oft auseinander, nicht nur
Strukturen wie dieser. Und das liegt nicht in der Natur des Universums,
sondern in der Art wie Theorie und wie Praxis betrieben werden.<<

Im Alltag wird das Freifunknetz vor allem durch Leute erweitert, die
kostenlosen Internetzugang wollen, oder bei denen diverse andere
persönliche Motivationen im Vordergrund stehen oder im Verlaufe der
Desillusionierung in den Vordergrund geraten. Das Ergebnis davon kennen
die meisten hier besser als ich. Horsts Wutausbruch kann ich mit diesem
Hintergrund wirklich gut nachvollziehen. Die Sache hat also (min.) 2
Seiten: Das Netz ist größer geworden, verliert aber mehr und mehr seine
soziale Bedeutung (s.o.), vielleicht sogar seine komplette Substanz weil
sich durch mangelnde Fokussierung auf die Aspekte ?Basisdemokratie? und
?Gemeinnützigkeit? eine komplette Privatisierung nicht mehr verhindern
läßt (jeder steckt sich so viel in die Tasche wie geht und haut ab).
Eine 3. Seite davon wäre vielleicht, daß das rausziehen von persönlichen
Vorteilen gar nicht als das zentrale Problem gesehen werden sollte,
solange es dem Projekt und seinen TeilnehmerInnen nicht schadet. Das
Problem ist vielmehr, das ausser den persönlichen Vorteilen für einige
Wenige bald nichts mehr ist (flächendeckend Billig-Flatrates,
ungepflegte Links etc.).

Dieses Thema spielt für mich persönlich JETZT eine zentrale Rolle, was
mein Engagement im Freifunk angeht. Wir bauen hier im Wedding sowas wie
eine Grundstruktur auf, die zum Mitmachen einladen soll. Gleichzeitig
diskutieren wir, eine Art Freifunkclub für Kids im Jugendzentrum Pankow
auf die Beine zu stellen. Aber lohnt sich das alles? Wofür machen wir
das, wenn wir (fast) die einzigen sind die (neben dem Spaß am Basteln)
ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgen? Ich habe persönlich gute
Erfahrungen mit der Szene/Community gemacht, kenne aber nun schon einige
Geschichten von fast allen Freifunkern, die von verheizten
Neueinsteigern berichten. Darauf hab ich keinen Bock. Ich werde nicht
Leute ansprechen für den Ausbau ?irgend? eines Netzwerkes.

Dieser Diskussion folgen dann natürlich bestimmte praktische Aspekte,
die sozusagen die andere Seite der Medaille darstellen. Es Bedarf eben
konkreter Schritte, wenn es denn um ?Demokratisierung der
Kommunikationsstrukturen? tatsächlich gehen soll. Nur um schonmal
ansatzweise in die praktische Richtung zu denken:

    *

      Möglicherweise müßte die Netzwerkarchitektur mit ein paar
      gezielten Aktionen etwas verändert werden (es gibt irgendwo Ideen
      glaub ich. Stichwort: ?Dreistufiges Netzwerk?).

    *

      Möglicherweise müßten auch Wege gefunden werden, mit Institutionen
      wie dem Frauenhofer Institut in Austausch zutreten, bei dem weder
      der Sellout/Braindrain stattfindet, noch das die Benefits, die
      eigentlich zurückfliessen sollen in privaten Taschen landen. Wie
      können größere Mengen Kohle oder Hardware verwaltet werden, ohne
      automatisch die Äderchen im Gehirn einer Privatperson platzen zu
      lassen?

    *

      Möglicherweise müßten Strukturen geschaffen werden, die Leute mit
      sozialer/politischer Motivation besser auffangen können. Es geht
      nicht nur darum ?nicht unfreundlich? zu sein. Es geht darum, den
      Aspekt ?Demokratisierung der Kommunikationsstrukturen? praktisch
      umzusetzen, durch die auch schon hin und wieder beschworen Inhalte
      (Radio, gratis/Tauschbörsen, etc.). Vielleicht müßten da auch ma
      Bündnisse mit anderen Initiativen und Netzwerken in Berlin
      eingegangen werden.

    *

      Möglicherweise sollte es neben unzähligen informellen Treffen, die
      bekanntlich informelle Hierarchien fördern, auch mehr formelle
      Treffen geben. Die müßten ja gar nicht mal zum Treffen von
      Entscheidungen dienen, wie in einer Partei oder einem Verein. Da
      wär ich eher kein Freund von. Aber zum Pläne schmieden, zum
      Diskutieren von Umsetzungsstrategien und auch hier aufgeworfener
      Grundsätzlicher Fragen zB. ...

Is alles nich neu. Ich mein ja nur: öfter, mehr, zielbewußter! Was steht
dem im Weg? Was stimmt daran nicht? Wo soll das alles hinführen?
AAAAAAAHHHHHH ;-)

lg, marco (104.21.0.4)

ps: schlage vor Beiträge dazu (u.a.) ins BNO forum (wlan-praxis) zu posten.


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