[Berlin-wireless] soziale Bedeutung

Juergen Neumann j.neumann
Mo Mär 12 14:36:40 CET 2007


Hallo Marco,

ich finde es super, dass und wie du dieses Thema hier noch mal auf die Tagesordnung bringst. Ich habe mir überlegt, ob ich dir privat oder der Liste antworten soll. Nu isses auf der List, ist halt ein bisschen lang ;-) ....

> ...

> Es geht also eher um etwas das vielleicht eher Basisdemokratie meint,
> umfangreiche Partizipation und Selbstbestimmung, Selbstgestaltung,
> Selbstorganisation. ...

Das war zumindest das, was wir uns darunter vorgestellt hatten, als wir es geschrieben haben.

> Aber die Frage drängt sich schon auf, wer sich denn wirklich hinter
> diese Deutung von ?Demokratisierung der Kommunikationsstrukturen?
> stellt, bzw. wer sein Engagment in der Freifunk Community auf diesen
> Prüfstein stellt. Theorie und Praxis treten oft auseinander, nicht nur
> Strukturen wie dieser. Und das liegt nicht in der Natur des 
> Universums,
> sondern in der Art wie Theorie und wie Praxis betrieben werden.

Das ist sicher ein wichtiger Punkt, über den ja auch immer wieder viel diskutiert wird. Für mich besteht ein Ziel nach wie vor darin, den individuellen do-it-yourself Gedanken bei dem ganzen Unterfangen in den Vordergrund zu rücken. Vereinfacht gesagt: "wenn wir das Netzt, was wir brauchen und wollen, nicht haben, dann bauen wir es uns eben selber". Das ist denke ich ein Motiv, dass für alle möglichen wireless-Initiativen auf der Welt gilt. Natürlich ist mir völlig klar, dass wir heute noch nicht an dem Punkt sind, dass es wirklich total einfach und für jede/n möglich wäre, das zu tun, und dass es nach wie vor "Spezialisten" dafür braucht. Aber es wäre ja auch kein Ziel mehr, wenn wir es bereits erreicht hätten. Den Beitrag, den ich mir von denen wünsche, die technsich versierter sind, ist zumindest teilweise auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Das ist in den letzten Jahren auch schon mit Erfolg passiert, denn in den Anfängen unserer Basteleien vor vier oder fünf Jahren war alles noch unendlich viel komplizierter und wir wussten noch viel weniger als heute.
 
> Im Alltag wird das Freifunknetz vor allem durch Leute erweitert, die
> kostenlosen Internetzugang wollen, oder bei denen diverse andere
> persönliche Motivationen im Vordergrund stehen oder im Verlaufe der
> Desillusionierung in den Vordergrund geraten. Das Ergebnis 
> davon kennen
> die meisten hier besser als ich. Horsts Wutausbruch kann ich 
> mit diesem
> Hintergrund wirklich gut nachvollziehen. Die Sache hat also (min.) 2
> Seiten: Das Netz ist größer geworden, verliert aber mehr und 
> mehr seine
> soziale Bedeutung (s.o.), vielleicht sogar seine komplette 
> Substanz weil
> sich durch mangelnde Fokussierung auf die Aspekte 
> ?Basisdemokratie? und
> ?Gemeinnützigkeit? eine komplette Privatisierung nicht mehr verhindern
> läßt (jeder steckt sich so viel in die Tasche wie geht und haut ab).

Ich finde es völlig legitim, an freifunk zu partizipieren, um kostenloses Internet zu erhalten. Denn die Forderung nach kostenlosem Internet für alle ist auch meine. Natürlich bin ich mir darüber im klaren, dass wir das in der momentanen Konstitution unseres Netzes, im Rahmen des geringen Funkspektrums, das uns zur Verfügung steht, etc. pp. technisch nicht viel größer verkraften würden. Aber als Motivation und Forderung finde ich persönlich "freies Internet für alle!" definitv richtig. Dazu gehört dann auch "... mehr Spektrum!". 

Da wir das aber gegewärtig von niemandem in ausreichender Form erhalten, tun wir selber das, was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt, um die Situation ein wenig zu verbessern. Ich wüsste nicht, warum sonst viele Leute im Netz ihren DSL-Anschluss teilweise kostenlos zur Verfügung stellen. Der Aufbau eines eigenen, selbstbetrieben und -verwaltetem Intranet ist mir genauso wichtig.    

> Eine 3. Seite davon wäre vielleicht, daß das rausziehen von 
> persönlichen
> Vorteilen gar nicht als das zentrale Problem gesehen werden sollte,
> solange es dem Projekt und seinen TeilnehmerInnen nicht schadet. Das
> Problem ist vielmehr, das ausser den persönlichen Vorteilen für einige
> Wenige bald nichts mehr ist (flächendeckend Billig-Flatrates,
> ungepflegte Links etc.).

Das Engament und die Mitarbeit an unserem Netz basiert auf Freiwilligkeit. Wir haben viele Menschen, die sich auf verschiedenen Ebenen (nicht nur technisch) für die freifunk-Idee engagieren. Es ist auch normal, dass die Interessen sich verändern und einige irgendwann keinen Bock mehr haben, sondern lieber was anderes machen. Die Frage ist, ob genug Leute hinzu kommen, die die enstehenden Lücken schliessen. Das ist auch eine Frage an uns - wie wir dafür sorgen, unser Wissen und unsere Ideen so zu transportieren, dass andere Lust haben, bestimmte Aufgaben und Rollen zu übernehmen. Den Platz dafür mussen wir machen.   
 
> Dieses Thema spielt für mich persönlich JETZT eine zentrale Rolle, was
> mein Engagement im Freifunk angeht. Wir bauen hier im Wedding 
> sowas wie
> eine Grundstruktur auf, die zum Mitmachen einladen soll. Gleichzeitig
> diskutieren wir, eine Art Freifunkclub für Kids im 
> Jugendzentrum Pankow
> auf die Beine zu stellen. Aber lohnt sich das alles? Wofür machen wir
> das, wenn wir (fast) die einzigen sind die (neben dem Spaß am Basteln)
> ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgen? 

Das glaube ich nicht! Nur kommen nicht alle freifunk-Befürworter in die c-base, wo es ja eindeutig einen eher technischen Schwerpunkt gibt, was ich hierbei garnicht kritisiere! Für viele andere geht es bei deren Engagement vor allem um ihre eigenen Projekte, und je besser freifunk funktioniert, um so mehr ist es für Nicht-Technisch-Interesiierte auch von Interesse. Denn prinzipiell ist es schnell verstanden und viele Menschen finden die Idee und die damit verbundenen Möglichkeiten gut, auch ohne sich für bits und bytes zu interessieren. 

> Ich habe persönlich gute
> Erfahrungen mit der Szene/Community gemacht, kenne aber nun 
> schon einige
> Geschichten von fast allen Freifunkern, die von verheizten
> Neueinsteigern berichten. Darauf hab ich keinen Bock. 

"Das Netz" bist in diesem Fall ja immer auch Du! Genau das ist es, was mir extrem wichtig ist. Es gibt auch nie nur EINE community und die communities sind immer auch Menschen. In Berlin gibt es sicher 10-15 oder mehr verschiedene freifunk/WLAN communites und subcommunities. Und alle organisieren und gestalten sich so, wie sie es wollen und können. Die Community im Wedding kann ganz anders werden als die in Fhain, Mitte, Pberg, Xberg, Moabit oder HSH. Denn diese sind alle für sich auch unterscheidlich in ihrer Herangehensweise, Organisation, Verbindlichkeit, Kernthemen, Struktur etc.pp. 

Es gibt da keine zentrale Instanz. Die Leute von Ku)h(funk in Moabit z.B. waren irgendwann auch schon mal in der c-base. Aber das meiste läuft dort vor Ort. Und auch HSH ist eine riesige Community, die auch mehrheitlich nicht in der c-base aufschlagen. Ich würde auch hier Konzentration und Bündelung nicht zur unbedingten Maxime machen wollen. Sollen alle es so machen, wie sie denken und es können. Wenn viele dabei das Gefühl haben, dass es ausreichend Gemeinsamkeinten dabei gibt, dann ist das gut und auch schön! Aber es ist keinesfalls eine Voraussetzung. 
 
> Ich werde nicht
> Leute ansprechen für den Ausbau ?irgend? eines Netzwerkes.

Dann solltest Du beschreiben, für welches Netzwerk du das denn tun möchtest. Und wenn andere das gut finden, werden sie dich dabei auch unterstützen. Ich glaube aber, wir würden die gesamte Berliner freinfunk-blase gründlich damit überfordern, das jetzt ganz allgemein und für alle formulieren zu wollen, bevor der nächste Accesspoint aufgebaut wird. 

Es wird Leute geben, die sich tatsächlich nicht dafür interessieren werden, und die sich vor allem aus Spass an der Technik egagieren, so wie andere, die hauptsächlich einfach nur einen Internetanschluss haben wollen. Ebenso gibt es Leute, für die eher gesellschaftspolitische Aspekte im Vordergrund stehen. Ich würde mir also an deiner Stelle die Frage beantworten, warum und wofür du dich im Rahmen des Projektes engagieren möchtest. Und dann würde ich versuchen die Dinge so zu gestalten, wie du sie dir vorstellst. Das reibt sich dann wahrscheinlich automatisch an den anderen Mitmenschen, und die Qualität der Community, also das Zusammenspiel der Individuen, entscheidet darüber, wie gut oder schlecht das funktioniert. Ich jedenfalls finde Deine Motivation und Fragestellungen absolut gut und würde mich darüber freuen, wenn es an einigen der von dir genannten Punkte etwas vorwärts gehen würde. 

> Dieser Diskussion folgen dann natürlich bestimmte praktische Aspekte,
> die sozusagen die andere Seite der Medaille darstellen. Es Bedarf eben
> konkreter Schritte, wenn es denn um ?Demokratisierung der
> Kommunikationsstrukturen? tatsächlich gehen soll. Nur um schonmal
> ansatzweise in die praktische Richtung zu denken:
> 
>     *
> 
>       Möglicherweise müßte die Netzwerkarchitektur mit ein paar
>       gezielten Aktionen etwas verändert werden (es gibt 
> irgendwo Ideen
>       glaub ich. Stichwort: ?Dreistufiges Netzwerk?).

Sollange es dabei nicht "zentraler" wird, als unbendingt notwendig, und das ganze immer offen und transparent bleibt ...

>       Möglicherweise müßten auch Wege gefunden werden, mit 
> Institutionen
>       wie dem Frauenhofer Institut in Austausch zutreten, bei 
> dem weder
>       der Sellout/Braindrain stattfindet, noch das die Benefits, die
>       eigentlich zurückfliessen sollen in privaten Taschen landen. Wie
>       können größere Mengen Kohle oder Hardware verwaltet werden, ohne
>       automatisch die Äderchen im Gehirn einer Privatperson platzen zu
>       lassen?

M.A.n. am besten aber nicht innerhalb der Community. In wie weit Menschen ihr Geld auch damit verdienen, was sie in ihrer Freizeit machen ist mir total egal. Aber ich würde das Geld und die Konzentration von Eigentum in Bezug auf die Hardware gerne aus der Community drausen lassen, da ich mir ziemlich sicher bin, dass uns das mehr Schaden als nutzen wird.

>       Möglicherweise müßten Strukturen geschaffen werden, die 
> Leute mit
>       sozialer/politischer Motivation besser auffangen können. Es geht
>       nicht nur darum ?nicht unfreundlich? zu sein. Es geht darum, den
>       Aspekt ?Demokratisierung der Kommunikationsstrukturen? praktisch
>       umzusetzen, durch die auch schon hin und wieder 
> beschworen Inhalte
>       (Radio, gratis/Tauschbörsen, etc.). Vielleicht müßten da auch ma
>       Bündnisse mit anderen Initiativen und Netzwerken in Berlin
>       eingegangen werden.

Da bin 100% Deiner Meinung!

>       Möglicherweise sollte es neben unzähligen informellen 
> Treffen, die
>       bekanntlich informelle Hierarchien fördern, auch mehr formelle
>       Treffen geben. Die müßten ja gar nicht mal zum Treffen von
>       Entscheidungen dienen, wie in einer Partei oder einem Verein. Da
>       wär ich eher kein Freund von. Aber zum Pläne schmieden, zum
>       Diskutieren von Umsetzungsstrategien und auch hier aufgeworfener
>       Grundsätzlicher Fragen zB. ...

Vielleicht klappt es jetzt mal ...

> Is alles nich neu. Ich mein ja nur: öfter, mehr, 
> zielbewußter! Was steht
> dem im Weg? Was stimmt daran nicht? Wo soll das alles hinführen?

Ich stelle solche Fragen, die das ganze aus der Perspektive als eine Organisation beleuchten, eigentlich bewusst nicht. Ich finde es immer wichtiger und interessanter, wenn sich jede Person erst mal über ihre eingenen Ziele und Wünsche im klaren ist und finde es toll, wenn Leute sich generell dann dafür engagieren. 

Im Rahmen der verschiedenen Aktivitäten und Treffen besteht die Chance auf Gleichgesinnte zu treffen. Innerhalb von freifunk gibt es aber viele verschiedene Grüppchen solcher "Gleichgesinnter" ;-). Und das eigentlich Spannende passiert aus meiner Sicht eh and den Berührungsflächen zwischen den vielen Grüppchen. Wenn freifunk Anlass und Gelegenheit bieten, dass solche Reibungs- und Berührungsflächen entstehen, dann ist das für mich persönlich schon eine ganze Menge. 

Wenn wir das über einen längeren Zeitraum hinweg aushalten, dann ist es mir um so lieber. Denn mir sind Konstellationen generell sympathischer, die einen gewissen Dissens aushalten können. Dazu braucht es Gemeinsamkeinten ebenso wie Gegensätze. Welche das im Einzelnen jeweils sind, wird m.E.n. immer ein Stück weit individuell bleiben. 

Die meisten Gemeinsamkeiten gibt es immer da, wo es am unkonkretesten ist, und Gegensätze treten gerne da zum Vorschein, wo es konkret wird. Wieviel Konsens brauchen wir, und was wollen wir gemeinsam? Welche Punkte sind dafür wirklich wichtig? Wieviele Gegensätze halten wir aus? Wie gehen wir damit um?  

LG

Juergen  


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